Nokia und Microsoft – Analyse einer Fehlentscheidung
Nokias Entscheidung, in Zukunft Windows Phone 7 zu unterstützen ist eine epische Fehlentscheidung. Nicht nur für Nokia sondern auch für Microsoft. Für beide Unternehmen und noch mehr für ihre Chefs stand offensichtlich nicht die Frage im Zentrum, wie man langfristig in diesem immer wichtiger werdenden Markt bestehen kann, sondern die Frage, wie man den Druck an der Aktionärsfront reduzieren kann. Denn Ballmer wird nach mehreren Fehlschlägen genau beobachtet und Elop hat eine große Aufgabe vor sich und dem Aktienmarkt ist bisher nicht klar, ob er dieser gewachsen ist.
Ihr Ziel haben sie deutlich verfehlt. Der Kurs von Nokia ist am Freitag um ~15% gesunken (und das hat viel Ähnlichkeit mit dem Sprung von einer brennenden Plattform). Das entspricht etwa $4,5 Milliarden. Viele institutionelle Anleger dürften darüber sehr beunruhigt sein. Bei Microsoft waren es zeitweise kanpp 2% weniger was einem Wert von etwa $4 Milliarden entspricht. Die Anleger haben offensichtlich – ebenso wie viele Mitarbeiter bei Nokia und viele Entwickler– nicht verstanden, worin die Chancen für Nokia und Microsoft bestehen sollen.
Sowohl für Ballmer als auch für Elop muss diese Reaktion des Marktes sehr überraschend kommen. Denn nicht nur waren die Analysten-Meinungen zu den Gerüchten um die anstehende Zusammenarbeit durchweg positiv. Viele Analysten hatten die Partnerschaft sogar explizit empfohlen.
Was verspricht sich Nokia und was Microsoft?
Nokia hat in den letzten Jahren mehrere Milliarden in die Softwareentwicklung gesteckt. Angefangen bei den Käufen von Trolltech, gate5 und Symbian über die vollkommen missglückte Ovi-Plattform bis hin zu einem riesigen Heer interner Entwickler, die – je nach aktueller Strategie und diese haben sich in den letzten Jahren oft geändert – Prototypen für die Mülltonne am Fliessband produzierten. Die Wahl eines anderen OS-Anbieters ist daher vor allem ein Befreiungsschlag gegen eine interne Struktur und Kultur, die viele guten Ansätze nicht auf die Strasse bringen konnte. Er beerdigt das Milliardeninvestment damit endgültig. Diesen radikalen Schritt rechtfertigt er mit der Hoffnung, dass wenigstens die Hardwaresparte weiterhin nicht den Anschluss verliert.
Ballmer dagegen meint mit Nokia in einem Schritt von aktuell 3% auf über 20% Marktanteil zu kommen. Damit wäre Microsoft vom Zuschauer zu einem der drei Hauptdarsteller in einem Markt mit momentan jährlich 100 Mio. verkauften Smartphones geworden. Aber wie Helmut Kohl mal sagte “Die Wirklichkeit sieht anders aus als die Realität”.
1. Windows Phone 7 verkauft sich offensichtlich schlecht
Fragt man Leute, die ihr Geld mit dem Vertrieb von Mobilfunkverträgen verdienen nach Verkäufen von Windows-Phone-7-Geräten lautet die Antwort unisono “schleppend … sehr, sehr schleppend”. Selbst ein wichtiger Partner wie LG ist nicht angetan von den Absatzzahlen. So erstaunt es nicht, dass Microsoft nach wie vor keine Zahlen bekanntgibt.
Möglicherweise spekuliert Microsoft ja aber auch darauf, dass Windows Phone 7 auf einem Teil der 200 Mio. bereits verkauften Nokia-Smartphones installiert werden könnte.
2. Die Hardwareanforderungen sind zu restriktiv
Mindestens ein A-GPS-Empfänger, Beschleunigungssensor, Kompass und Helligkeitssensor stellen zwar für die aktuellen Nokia-Geräte “unten rechts” kein Problem dar. Aber eine GPU mit DirectX 9 findet sich bei den ARM-SoC die Nokia einsetzt nicht. Auch OLEDs verwendet Nokia derzeit bei den Vollflächen-Smartphones nicht und aktuell gibt es kein einziges Gerät mit einem 1GHz-Prozessor.
Auch für andere Hersteller stellen diese Anforderungen eine echte Hürde dar. Die Geräte werden in der Herstellung teuer und konkurrieren dann auch noch mit Android-Geräten, für die keine OS-Lizenzen anfallen.
3. Nokia wird die Marge der anderen Anbieter senken
Mit dem Einstieg Nokias in den Markt der WP7-Geräte wird Nokia zu einem direkteren Konkurrent für HTC, LG und Samsung als bisher. Denn ein Teil der Käufer wird sich eher auf ein Betriebssystem festlegen als auf einen Hersteller. Nach der Entscheidung für das OS ist dann der Markenname des Geräts ausschlaggebend. In vielen Märkten (z.B. Indien und Afrika) hat Nokia eine marktbeherrschende Position. Märkte, die für die anderen Anbieter insbesondere deswegen interessant sind, weil Microsoft hier noch einen guten Ruf hat und fast hundert Prozent Marktdurchdringung bei PCs.
Man muss kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass vor diesem Hintergrund der eine oder andere Gerätehersteller noch genauer nachrechnet, ob sich das Engagement lohnt.
4. Hochpreisige Geräte für niedrigpreisige Märkte
Viele Märkte in denen Nokia bisher erfolgreich war sind extrem preissensibel. Der Boom im Smartphone-Markt der in Europa, einigen asiatischen Staaten und Amerika in den letzten Jahren einsetzte wird in diesen Märkten ebenfalls stattfinden. Der Preis für diese Märkte muss sicher unter hundert Euro sein. Mit den aktuellen Anforderungen von Windows Phone 7 werden solche Geräte frühestens in drei Jahren möglich sein. Bis dahin werden kleine Android-Geräte oder vielleicht sogar Apple dort präsent sein.
5. Windows Phone 7 ist kein Tablet-OS
Nach aller Skepsis über die Chancen des iPads haben spätestens die letzten Quartalszahlen von Apple mit 16 Mio. Verkäufen Kritiker verstummen lassen. Und sieht man sich an, was allein in den letzten Monaten an Ankündigungen über Tablet-OSse (Honeycumb, WebOS und RIM/QNX) veröffentlicht wurde, macht deutlich, dass das Thema relevant ist. In dieser Situation ein OS mit einer Oberfläche zu wählen, die nicht für Tablets geeignet ist, muss wenigstens verwundern.
6. Momentan gibt es noch nichts
Elop hat mit seiner Ankündigung Nokia in eine Starre versetzt. Bis die Verträge auch nur ausgehandelt und unterschrieben sind, vergehen Monate, bis Nokia ein Gerät hat, dass die Hardwareanforderungen erfüllt, wird es möglicherweise noch ein Jahr dauern. Bis dahin leben Mitarbeiter und Kunden in Unsicherheit. Die Motivation der Symbian-Abteilungen dürften vor dem Hintergrund des nahen Endes nahe null sein. Ähnliches gilt für die Maps-Leute, die sich fragen müssen, wofür sie weiterarbeiten sollen, da doch Microsoft auf diesem Gebiet selbst stark aufgestellt ist. Einzig für die MeeGo-Entwickler gibt es ein klein wenig Hoffnung. Falls sich die wenigen Geräte die offensichtlich noch als Testballons erscheinen sollen als erfolgreich erweisen, könnte vielleicht das steinerne Herz des Kanadiers erweicht werden.
Prognose
Die Reaktion der Aktienmärkte legt nahe, dass Elop die notwendige Zeit nicht mehr haben wird, bis sich die Entscheidung überhaupt auf die Umsätze auswirken kann. Und selbst die angekündigten Entlassungen schlagen sich zuerst negativ nieder. Die schlechte Stimmung bei den Mitarbeitern und den Anlegern, zusammen mit einer komplizierten Verhandlungssituation bei den Mobilfunkprovidern macht seinen Chefsessel zu einem Schleudersitz.
Danke für die gute Zusammenfassung.
Einen Aspekt hast Du aber nach meiner Meinung vergessen. Gleich nach der Bekanntgabe ging auch eine Pressemitteilung raus, dass ein weiterer Microsoft Veteran zu Nokia geht und dort Chef von Nokia US wird. http://www.prnewswire.com/news-releases/nokia-appoints-chris-weber-to-president-of-nokia-inc-us-and-head-of-markets-north-america-115904119.html
Zusammen mit der Tatsache, dass ein solcher Schritt eigentlich schon bei der Einstellung von Elop geplant gewesen sein muss, klingt das alles sehr nach einem Coup von Microsoft.
ff
13 Feb 11 at 1:33 am
[...] die beiden Unternehmen könnte dies der rettende Ausweg sein. Zwar mag Windows Phone 7 durchaus überzeugen können, doch in Sachen Marktanteil [...]
News-Recycling am Wochenende | TechBanger.de
13 Feb 11 at 8:38 am
Es wäre zu wünschen wenn Apple und Android Konkurrenz hätte – die belebt ja und sorgt für schnelle Fortschritte. Aber Microsoft und Nokia haben zu lange geschlafen und es wäre wohl klüger gewesen wenn sie sich auf die über-übernächste Gerätegenerationen konzentriert hätten.
Gabriel K
13 Feb 11 at 10:49 am
Kurzfristig erwarte ich mehr Konkurrenz von webOS und vielleicht noch ein wenig von RIM. Und langfristig spielt Windows Phone 7 sowieso keine Rolle mehr.
qrios
13 Feb 11 at 12:44 pm
Ich hab mich mit dem Thema “Elop als Teil einer perfiden Ballmer-Strategie” nur am Rande beschäftigt. Laut dieser Quelle http://www.tracked.com/person/stephen-elop/insider_trades/?y=2008&ts=MSFT besitzt er weiterhin 300000 Shares von Microsoft. Damit ist er der 7-größte Shareholder (Person) von MSFT. Von Nokia besitzt er wohl keine Aktien.
Ich würde mich nicht wundern, wenn wichtige Anteilseigner von Nokia bei einem weiteren Kursverfall (der nach meiner Meinung mit abnehmendem Marktanteil auf jeden Fall kommen wird) gegen Elop klagen und die Herausgabe aller Kommunikation zwischen Elop/Nokia und MSFT/Ballmer fordern. Und ich halte es für sehr wahrscheinlich, dass diese Vereinbarung schon vor dem Amtsantritt von Elop auf der Agenda stannd.
qrios
13 Feb 11 at 1:20 pm
@qrios: Das mit den Anteilen ist echt der Hammer. Das mach tdoch nur wieder deutlich, dass Nokia da vollkommen über den Tisch gezogen wurde. Vielleicht sagt sich ja Ballmer, wir machen jetzt erstmal Kooperation, dann sind die nach einem Jahr so weit, dass sie die ersten Geräte haben, haben aber inzwischen soviel Wert verloren, dass sie wirklich billig sind und nur noch halb so viele Mitarbeiter haben und dann kaufen wir sie.
ff
13 Feb 11 at 1:29 pm
“ein Befreiungsschlag gegen eine interne Struktur und Kultur”?
Ich kann dir versichern, dass das Problem bei Nokia nicht die Entwickler sind. Die haben in Deutschland nach meiner Meinung den größten Haufen excellenter Leute die man finden kann. Das Problem ist das Management. Da wird an verschiedenen Stellen im Unternehmen in vollkommen verschiedene Richtungen gearbeitet nur um beim nächten Meeting mal wieder irgendwas neues auf des Charts zeigen zu können. Was sollen denn die Entwickler entwickeln, wenn der Kopf keine Ahnung hat wo es hingehen soll?
MarcoMacro
13 Feb 11 at 1:38 pm
Unter http://www.siliconbeat.com/2008/01/11/microsoft-beware-stephen-elop-is-a-flight-risk/ gibt es einen interessannten Artikel zu Elops Vita. Er scheint ein Meister darin zu sein, bei seinen Arbeitgebern möglichst viel in möglichst kurzer Zeit abzuziehen. Hammer!!11
ff
13 Feb 11 at 1:47 pm
@qrios: Dein twitter-Verweis auf die interessanten Kommentarlinks verleitet mich zu einem weiteren: http://www.asymco.com/2011/02/11/in-memoriam-microsofts-previous-strategic-mobile-partners/. Wie erfolgreich sind Handysparten-Partner von M$.
Thomas
13 Feb 11 at 10:22 pm
[...] Im Artikel “Nokia und Microsoft – Analyse einer Fehlentscheidung” gibt es einige spannende Hintergrundinfos, besonders die weiterführenden Links in den [...]
Bye Bye Nokia! » mySHA.de
14 Feb 11 at 8:47 am
schade, die wichtigste aussage geht leider unter in den richtigen aber sekundaeren punkten 1-6.
die aktion hat sich imho an die aktienmaerkte gerichtet.
wenn sich fuer ballmer und (f|e)lop abgezeichnet haette, dass die beiden firmen jeweils um die 4*10^9 $ verlieren, haetten sie die bekanntgabe auf den boersenschluss gelegt.
(darf man sowas eigentlich am we verkuenden?)
und der wertverlust geht zumindest fuer nokia heute weiter.
anon
14 Feb 11 at 9:15 am