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#PRISM, Big Data und der Überwachungs-industrielle Komplex

5 Kommentare

Die Aufdeckung der umfassenden Vorratsdatenspeicherung der NSA durch Edward Snowden hat die Öffentlichkeit kalt erwischt und auf einen Schlag sind fast alle Verschwörungstheoretiker rehabilitiert. Interessant an dem gesamten Gegenstand sind mehrere Aspekte, insbesondere, wenn man sich normalerweise mit der Analyse und dem Umgang mit “Big Data” beschäftigt:

“Metadaten”

Im Rahmen von PRISM erfasst die NSA die Verbindungsdaten ohne die Kommunikationsinhalte selbst. Viele Menschen sehen das Programm deswegen erstaunlich entspannt. Dabei übersehen sie jedoch, dass in einem Netzwerk die Verknüpfungen selbst, die eigentlichen Inhaltsträger sind. Aus dem Verbindungsprofil selbst lässt sich ein nahezu vollständiges Persönlichkeitsprofil erstellen. Tagesaktivität, wiederkehrende Verhaltensmuster, Aufmerksamkeitsspanne, Gedächtnisleistung, nahezu alle Aspekte, die einen Menschen von einem anderen unterscheiden und damit seine Identität darstellen, können aus den reinen Verbindungsdaten abgeleitet werden.

Darüber hinaus umfassen die reinen Metadaten in vielen Fällen bereist Inhaltsbezüge. Die Eingabe des Wortes “Aufmerksamkeitsspanne” in das Browser-Suchfeld – beispielsweise zur Überprüfung der Schreibweise – führt zu einer ersten unverschlüsselten Anfrage bei Google, diese wird mit Vorschlägen beantwortet. Mit der Entertaste wird eine “echte” Anfrage an Google gesendet, wiederum im Normalfall unverschlüsselt. Bei dem Klick auf einen Link auf der Ergebnisseite wird wieder Google informiert und die aufrufende Seite über die Herkunft und Suchbegriff in Kenntnis gesetzt. Jedes mal fliessen Verbindungsdaten und mit ihnen relevanter Inhalt in den Metadaten.

Mit Hilfe der Metadaten lassen sich so Bezüge zwischen Interessen, befreundeten/bekannten Personen und unterschiedlichen Lebenskontexten herstellen. Und zwar ohne irgendwelche Probleme. Zu Hilfe kommen den Überwachern dabei die allseits verbreiteten Tracker und Werbenetzwerke und deren Cookies und Targetingverfahren. Der Guardian hat dazu einen ausgezeichneten Artikel in dem unter anderem auf den Petreus-’Fall’ verwiesen wird.

Problematischer als die Erhebung der Daten durch die Werbenetzwerke und Tracker ist aber wahrscheinlich die Aufweichung des Empfindens der Nutzer darüber, welchen Wert die eigenen Daten haben und wie schützenswert diese sind. Dies vermutet sogar ein Online-Werber selbst. In einer Mail an ZDNet schrieb er, dass er glaubt, dass es der NSA nicht so leicht möglich gewesen wäre, ein solches Programm zu etablieren, wenn nicht über Jahre die besten Marketingleute die richtigen Argumente wiederholt hätten, warum keine Gefahr bestünde für die Privatsphäre der Nutzer.

We went first and told the public not to worry, to have faith and to trust. We crafted the arguments, molded the opinions, and quieted the skeptics.

Surveillance und Tracking basieren auf der gleichen Technik

Sieht aus, wie Verkehrsplanung ist aber die Grundlage für die Analyse von Überwachungsdaten.

Sieht aus, wie Verkehrsplanung ist aber die Grundlage für die Analyse von Überwachungsdaten.

Neben der Erfassung hilft die Technik der Tracker den Überwachern auch bei der Datenauswertung. Basis für beide sind wissenschaftliche Arbeiten der letzten zwanzig Jahre. Schaut man sich die Veröffentlichungen auf arXiv.org im Bereich Mathematik und Computer Science an, findet man zum Beispiel diese Arbeit: “Structure of complex networks: Quantifying edge-to-edge relations by failure-induced flow redistribution“. Was abstrakt klingt, beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, wie man statistisch nicht-lokale Verbindungen von Knoten erkennen kann. Ein gutes Verfahren um aus dem allgemeinen Rauschen von Verbindungsdaten mit möglichst wenig Aufwand Ereignisse und Verknüpfungen zu ermitteln, die nicht-lokal sind. Damit hat man die theoretische Grundlage und die Algorithmen, um automatisch Auffälligkeiten zu markieren.

In einer anderen Präsentation der NSA mit dem Titel “An NSA Big Graph experiment” werden mehrere Forschungsarbeiten von CMU, MIT und anderen amerikanischen Hight-Tech-Unis referenziert. Genannt werden unter anderem Steven Strogatz und Duncan Watts mit ihrer wegweisenden Arbeit “Collective dynamics of ‘small-world’ networks” (hier eine Einführung in die Grundlagen der Network Science einer chinesischen Uni). Diesen und auch vielen anderen Wissenschaftlern kann man wahrscheinlich nicht vorwerfen, aktiv an Überwachungstechnik zu arbeiten. Ihre Forschung hilft jedoch der NSA und allen anderen Diensten. Sie macht diese Überwachung tatsächlich erst möglich.

(Das ‘small-world’ im Titel der Studie referenziert übrigens das Kleine-Welt-Experiment von Milgram. Im diesem wurde gezeigt, dass jeder jeden auf der Welt über nur ~6 Ecken kennt. Microsoft hat in einem Experiment mit dem Messenger und 190 Mio Usern dieses Ergebnis im wesentlichen bestätigt. Jeder kannte also z.B. Bin Laden über nur sechs andere Menschen. Nicht grade beruhigend, wenn man nun weiß, wie die NSA Daten sammelt.)

Neben der Wissenschaft sind aber auch viele Startups – insbesondere im Silicon Valley – wichtige Zulieferer. Unzählige neue Firmen beschäftigen sich mit der Frage, wie relevante Informationen aus Datenbanken zu extrahieren sind. Da fällt zum Beispiel Palantir aus Palo Alto auf.

Palantir glaubt an die Bürgerrechte … (Quelle: palantir.com)

Palantir glaubt an die Bürgerrechte … (Quelle: palantir.com)

Unter den Anwendungsbereichen für ihre Datenanalyse-Lösungen finden sich Krankheitsbekämpfung und Immobilienmarkt. Aber auch: Defence, Legal Intelligence und Law Enforcement. Die von der CIA mitbegründete Firma bestreitet PRISM gebaut zu haben (obwohl sie ein gleichnamiges Produkt mit gleichen Kernfunktionalitäten anbietet). Dennoch verdient Palantir inzwischen sehr gut mit Aufträgen aus der Überwachungsindustrie und staatlichen Einrichtungen.

Den ideologischen Unterbau für das schizophrene Handeln zwischen Bürgerrechten und Technik für Überwachung liefert übrigens der deutschstämmige Peter Thiel (Seedinvestor bei Palantir):

I believe, as a libertarian, that if the security problem is not solved, we will end up with a society with terrorism and no civil liberties at all.

Unabhängig davon, wie unsinnig diese Aussage ist und wie oft sie in der Geschichte schon widerlegt wurde, sie ist extrem profitabel für einen Investor im Markt der Überwachungstechnik. (Bei nur rund $150Mio Investment wird Palantir inzwischen mit über $1Mrd. bewertet.)

Der Überwachungs-industrielle Komplex

Neben Startups verdienen auch etablierte Firmen viel Geld mit Überwachungstechnik. Beratungsagenturen wie Booz Allen (bei denen Edward Snowden zuletzt angestellt war) oder Firmen wie Raytheon, Boeing, Lockheed Martin und IBM möchten von dem immer stärker sprudelnden Ausgaben des Staates, der Bundesländer und selbst Städten in diesem Sektor etwas abhaben.

Der technologische Fortschritt und die wachsenden Datenaufkommen spielen ihnen dabei in die Hände. Technologie, die man noch vor wenigen Jahren als ausreichend und zukunftssicher verkauft hat sind inzwischen veraltet. Neue Services kommen hinzu und GPS-Daten müssen nun aus Bildern extrahiert werden, Gesichtserkennung ist heute obligatorisch und nicht nur mehr auf Anforderung möglich. Und sicher doch auch notwendig. Man möchte doch nicht nach dem nächsten Anschlag als der Trottel dastehen, der das nicht vorher hat kommen sehen.

Die Frage, die sich die Politik stellen muss ist: Wo ist die Grenze? Wäre es mit unendlichem Aufwand möglich, jede Art des Terrors, jede Kriminalität, jede Steuerhinterziehung zu verhindern? Das würde vor allem den Zulieferfirmen gefallen. Mit einem imaginären Bedrohungsszenario würde ihnen dadurch soviel Steuergeld wie möglich zufliessen. Dann wären weder die Dienste selbst noch die Firmen daran interessiert, festzustellen, dass es gar keine Bedrohung mehr gibt. Dann hätten alle längst aufgehört, über Freiheit nachzudenken, denn das könnte selbst schon eine Bedrohung für Dienste und Firmen sein. Man wäre in Gefahr.

[Update] Bloomberg hat schon am 10. Juni einen Artikel über “Lockheed to Boeing Building Security-Industrial Complex” veröffentlicht. Darin wird unter anderem über einen Regierungsauftrag an Lockheed Martin mit einem Volumen von knapp $5 Mrd. berichtet. [/Update]

[Update] Bloomberg Businessweek stellt in einem imposanten Chart dar, wie sich die Einnahmen von Booz Allen Hamilton verteilen “Chart: How Booz Allen Hamilton Swallowed Washington“. D.h. die Firma bei der Edward Snowden beschäftigt war würde praktisch nicht mehr existieren, wenn öffentliche Einrichtungen keine Aufträge mehr geben würden. Und da die Firma direkt und indirekt Zugriff auf alle Daten aller Entscheidungsträger hat, dürfte dieser Fall wohl nicht eintreten. [/Update]


Written by qrios

June 12th, 2013 at 2:46 pm

5 Responses to '#PRISM, Big Data und der Überwachungs-industrielle Komplex'

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  1. Frank Rieger (CCC) hatte vor zwei Monaten einen guten Text in der selben Richtung geschrieben http://www.bpb.de/apuz/157538/von-daten-und-macht-essay?p=all

    ps: Peter Thile (paypal-Gründer!) ist Bilderberger! (Seite geht grade nicht ;) http://www.bilderbergmeetings.org/governance.html

    Fluesterer

    12 Jun 13 at 4:16 pm

  2. Peter THIEL meine ich natürlich!!11

    Fluesterer

    12 Jun 13 at 4:17 pm

  3. Danke für den Rieger-Link. Die Bilderberggeschichte hatte ich eigentlich absichtlich weggelassen. Nicht, dass noch jemand Verschwörungstheorien wittere.

    qrios

    12 Jun 13 at 5:04 pm

  4. [...] vor der Aufdeckung von PRISM noch als Verschwörungstheoretiker verunglimpft worden wäre, lautet: “Die Frage, die sich die Politik stellen muss ist: Wo ist die Grenze? Wäre es mit unendlichem Auf… In diesem Zusammenhang auch sehr interessant: Innenminister Friedrich will in den nächsten fünf [...]

  5. […] vor der Aufdeckung von PRISM noch als Verschwörungstheoretiker verunglimpft worden wäre, lautet: “Die Frage, die sich die Politik stellen muss ist: Wo ist die Grenze? Wäre es mit unendlichem… In diesem Zusammenhang auch sehr interessant: Innenminister Friedrich will in den nächsten fünf […]

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