Das vermeintliche Ende der Netzneutralität
Letztens saß ich nichts ahnend in meinem Wohnzimmer unweit des Epizentrums der Berliner Filterbubble und plötzlich kehrte der Elektrische Reporter ein. Nach kurzem Abgleich der gegenseitigen Filterkriterien landeten wir schnell bei dem nächsten großen Thema der Netzerregung: NETZNEUTRALITÄT!
Sixtus, die metaebene und viele andere (http://www.spiegel.de/thema/netzneutralitaet/archiv.html) hatten das Thema schon länger auf dem Radar. Vor einiger Zeit ging es noch darum, dass die Telekoms der Welt bestimmte Dienste in ihren Netzen mindestens behindern wenn nicht sogar komplett gesperrt haben. Zumindest jedoch die Benutzung per AGBs verbieten.
Inzwischen kommt das Ende des Netzes, wie wir es kennen mit großen Schritten näher. Auslöser war die Ankündigung der Telekom über eine Partnerschaft mit Spotify. Zukünftig wird (bei Buchung eines Zusatzpaketes) das “Flatrate”-Volumen nicht mehr belastet, wenn man den Musikdienst Spotify benutzt. Der Chor der Kritiker sieht damit die Tür zu einer Welt geöffnet in der nur eine limitierte Anzahl Diensteanbieter einen Vorzugsservice durch die Provider geniessen. Der Nutzer schliddere auf der Gleitcreme eines vermeintlichen USPs gradewegs in einen neuen Walled Garden.
Interessant daran ist, dass der Aufschrei eigentlich schon vor zwei Jahren hätte durch das Netz schallen müssen. Damals hatte facebook und E-Plus bekanntgegeben, dass der Aufruf über die Adresse 0.facebook.com aus dem E-Plus-Netz kostenlos ist. Noch früher gab es bereits sogenannte “Mobile Enabler”. Diese bieten sehr erfolgreich Mobilfunkverträge von allen Netzen als White-Label-Pakete an. Bild-Mobile und Hertha verkaufen diese dann gebrandet und auch dort können die Nutzer bestimmte Angebote kostenlos nutzen. Solche Angebote gibt es sogar komplett verkrüppelt. Online kann man nur ein einziges Angebot nutzen, für den Rest des Netzes gibt es keine Netzverbindung.
Es zeichnet sich ab, dass zukünftig Netz nicht mehr Netz ist. Mehr oder weniger jedes Online-Paket wird spezifische “Vorteile” haben, die man nur als Restriktion begreifen kann.
Alles schon mal dagewesen:
Es empfiehlt sich jedoch ein Blick in die Vergangenheit. Auf dem steinigen Weg von BTX zu einem allgemein verfügbaren IP-Netz waren bei Compuserve, der Deutschen Post und AOL schon immer bestimmte Dienste frei verfügbar, andere wurden nicht auf das Datenvolumen angerechnet und andere eben geblockt. Selbst bestimmte IP-Dienste wurden im Laufe der Zeit entweder beschnitten (z.B. nntp oder irc) oder bevorzugt (z.B. WSJ.com bei Compuserve) behandelt.
Die Entwicklung, die sich jetzt abzeichnet ist relativ klar. Die Provider begreifen, dass das Netz zukünftig ein Service ist, der Standard ist. In absehbarer Zeit werden die Kunden die Differenzierung zwischen Telefon- und Online-Funktion nicht mehr mittragen. Schon heute dürfte etliche Kunden nach zwei Stunden wieder im Laden stehen und fragen “Wie komme ich denn jetzt auf Bild.de?”. Die Antwort “Sie hätten ein Online-Paket dazubuchen müssen.” dürfte nur noch wenige Jahre hingenommen werden.
Die Provider sind bereits in einem Rückzugsgefecht. Sie mögen vielleicht heute noch nicht begreifen, dass sie lediglich Rohrleger und -vermieter sind. Die aktuelle Entwicklung deutet aber darauf hin, dass sie es spüren und noch abschöpfen möchten, was noch geht.