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Kein Verständnis für das Unverständnis
Warum so viele denken, es fände eine anlasslose Hetzkampagne (gegen das Objekt ihres Begehrens) statt und Journalisten nicht in der Lage sind, das Thema Guttenberg zu vermitteln.
Im Netz herrscht weitgehende Einigkeit: Minister Guttenberg hat abgeschrieben, damit die Urheber beklaut, dann gelogen und damit die Uni betrogen, dann gelogen, nochmal gelogen und wieder und wieder gelogen, womit er die Bürger mehrfach vorsätzlich (das ergibt sich aus der Differenz zu seinen vorhergehenden Aussagen) getäuscht hat. (Nicht alle im Netz sind sich einig. 301.879 facebook-Fake-Accounts setzen sich für ihn ein. Wobei merkwürdig ist, dass diese 0.3M+ – <2% aller deutschen facebook-User – zwar in der Lage sind, auf einen Gefällt-mir-Button zu klicken, nicht aber auf den richtigen Button bei der Bild- oder anderen Abstimmungen.)
Insbesondere der Gleichklang der Presse muss Max Mustermann stutzig machen. Bis auf die Bild lässt kaum eine Tages- oder Wochenzeitung den Freiherr in Ruhe. Selbst die blaue Seite des Springer-Konzerns räumt dem Fall ähnlich viel Raum ein, wie es Holtzbrinck und Gruner&Jahr tun. Wenn ein KT-wohlgesonnener Bürger Tag für Tag in seiner Tageszeitung lesen muss, dass der Minister gefehlt hat während die Mehrheit der Bürger hinter ihm steht (was übrigens auch in der Presse steht), dann muss er das Gefühl haben, dass es eine geheime Agenda gibt, dass eine Kampagne gegen seinen Vertrauten läuft. Naheliegend, dass es sich um einen Feldzug der “linken” Presse handelt.
Schuld an dieser Situation sind tatsächlich die Journalisten. Denn sie haben versäumt, dem Mann auf der Strasse zu erklären, was so schlimm daran sein soll, aus anderen Texten zu zitieren. Nach allgemeinem Verständnis machen das ja wohl alle Wissenschaftler. Nur hat Guttenberg vergessen, das zu markieren. Nach sieben Jahren Schreibarbeit, parallel zu der Familie, dem Bundestagsmandat und seinen wirtschaftlichen Aufgaben kann man doch nicht verlangen, dass man sich noch erinnern kann, wann, von wem, was, wo geschrieben wurde.
Journalisten fehlt an dieser Stelle offensichtlich das Verständnis für das Unverständnis. Logischerweise. Sie verhalten sich, wie ein Beamter, den man fragt, worin der Sinn einer Verordnung liegt und der antwortet “sie umzusetzen”. Die Leistung eines Journalisten besteht eher selten im Scoop, sondern meistens in der Verknüpfung und Vermittlung jeder beliebigen Erkenntnis. Der Grad eines Scoops bemisst sich an der Frage, wo man momentan am wenigsten etwas erwarten würde. Douglas Adams meinte, dass es nur die erste und zweite UFO-Landung auf die Titelseite schaffen würde, die dritte landet schon auf Seite 2, alle weiteren hinten unter ‘Vermischtes’.
Wissenschaft und Journalismus funktionieren ähnlich: Menschen recherchieren und schreiben die dabei gewonnenen Erkenntnisse nieder. Sie müssen darauf vertrauen (und hoffen), dass die Inhalte nicht bereits vorher oder – noch schlimmer (siehe Leibnitz/Newton) – gleichzeitig veröffentlicht w(u|e)rden. Im Alltag gelingen wohl kaum einem Journalisten und Wissenschaftler permanent bahnbrechende Erkennknisse. Der Alltag für beide besteht in der Vermittlung von Dingen, die bisher keiner wusste, die aber dennoch nicht so weltbewegend sind. In einem selten glücklichen Fall stellen sie jedoch wichtige Bausteine für die Erkenntnisse anderer dar.
Ihren Wert erlangen sowohl Journalisten als auch Wissenschaftler im Alltag dadurch, dass mit ihren bisherigen Texten ihr Name weitergetragen wird. Je öfter sie zitiert werden, desto bekannter sind sie. (Bei Journalisten kommt noch die VG-Wort hinzu, die für jede Veröffentlichung bezahlt.) Die eigentliche Veröffentlichung der Erkenntnis ist jedoch eine unsichere Investition. Ob und wenn ja, sich jede einzelne Investition rentiert kann der Verfasser eines Textes nicht wissen.
Wenn ein Text eines Wissenschaftlers oder Journalisten ohne Verweis kopiert wird, profitiert der Zitierende von der Erkenntnis eines anderen. Das Investment des Urhebers jedoch ist verloren. Die Kette ist zerrissen. Je wichtiger das Plagiat in der öffentlichen Wahrnehmung wird, desto unwichtiger wird die Quelle. Mit jedem Verweis auf das Plagiat wird der unbekannt Zitierte nicht nur um seine verdienten Meriten gebracht, ihm wird auch Raum für mögliche Aufmerksamkeit genommen.
Deswegen funktioniert das oft verwendete Bild des Ladendiebstahls nicht, denn dabei werden keine Dinge gestohlen, die die Bestohlenen selbst geschaffen haben. Es werden auch keine Dinge gestohlen, die in Zukunft einen Wertzuwachs versprechen. Daher wäre es für Erika Mustermann wesentlich nachvollziehbarer, wenn man ihr schilderte, wie ihr selbst gebautes Haus enteignet oder wie man ihr Sparkonto auf einen anderen Namen überschreiben würde.