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IT ist kurios!

die blogs, die produktionsmittel und das kapital

1 Kommentar

Für die Ungeduldigen: Alle Versuche der Politik und Wirtschaft, Copyrights zu schützen sind Versuche, die digitalen Produktionsmittel wieder in die Hand weniger zu legen und so einen Markt, mit wenigen Teilnehmern zu erhalten.

Eva Redselig Schweitzer hat in ihrer unnachahmlichen Art für mehr Klarheit in der Sache, Dr. Eva Schweitzer gegen (einen) (zweialle (ausgenommen Malte) ‘deutschen’ Blogger gesorgt. Kurze Auszüge aus dem Telefonat zwischen Johannes Boie und ihr hat er auf seinem Blog (unter dem Dach der Süddeutschen) veröffentlicht. Nach ihren eigenen Auslassungen zahlt sie für das Auffinden von Urheberrechtsverstößen und die Durchsetzung ihrer Rechte keinen Pfennig. Dieser Umstand gefällt ihrem Dienstleister offensichtlich nicht und dürfte letztendlich die Durchsetzung dieser Forderungen erheblich behindern und auch den Handlungsspielraum des Dienstleisters einschränken.

Die taz hat sich eine Woche nach dem Höhepunkt der Auseinandersetzung dazu entschlossen, ihrer freien Autorin beizustehen und einen Artikel veröffentlicht, der unter fragwürdiger Verkürzung der Tatsachen das Verhalten und die Argumentation von Frau Schweitzer rechtfertigen soll. Der Artikel “Spezialisiert auf Textdieb-Jagd” liest sich in weiten Teilen wie eine Werbung für die Software Textguard. Die Rechtmässigkeit des Vorgehensweise wird unter anderem damit begründet, dass die Nachrichtenagentur AFP sich der gleichen Dienstleistung bedient.

Bildschirmfoto 2009-11-08 um 14.34.08

Mit freundlicher Genehmigung von @sebaso, der dieses Foto von einem in der taz abgedrucktem, anonymen Kommentar machte.

In einer interessanten Analyse stellt Udo Vetters in lawblog die rechtlichen Aspekte dieser automatischen Abmahnungen dar. Demnach hat ein Anwalt in Rahmen eines solchen Rundumsorglospakets keinen Anspruch auf die Erstattung seiner Gebühren. Trotz der guten Übersicht hat Frau Schweitzer allerdings die Tragweite dieser Ausführungen nicht verstanden.

Und dann kommt ein typischer Schweitzer*:

Also, zur Sache: Ich bin freie Journalistin in Manhattan, ich lebe davon, dass ich Artikel schreibe und an Zeitungen verkaufe, und zwar mehrfach. Das ist ein relativ normales journalistisches Geschäftsmodell. Wenn Zeitungen und andere Internetportale meine Artikel aus dem Netz pflücken, um ihre Websites damit kostenfrei aufzuhübschen, gehe ich dagegen vor. Das ist wahrscheinlich für jemanden, der von Bafög oder anderer Staatsknete oder einer Förderung aus irgendeinem gemeinnützigen Topf lebt und froh ist, irgendwo kostenfrei erwähnt zu werden, schwer zu verstehen, aber so funktioniert das in der wirklichen Welt.

*) Dies war möglicherweise – unklar formuliert – eine Antwort auf einen Vorposter, bei dem allerdings nicht darauf hindeutete, dass er sein Leben aus öffentlichen Mitteln finanziert.

Hier nimmt sie ein Thema auf, dass sie immer wieder gern bemüht: Journalisten leben in der wirklichen Welt und unterliegen den wirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten während Blogger demgegenüber Teil der Tertiärwirtschaft sind. Blogger finanzieren ihre Tätigkeit offensichtlich aus öffentlichen Mitteln. Sie rekrutieren sich nach ihrer Meinung zu einem wesentlichen Teil aus dem Präkariat.

Wahrscheinlich ungewollt weist sie dadurch auf eine andere Dimension dieses Konflikts hin: den Besitz an den Produktionsmitteln in der digitalen Wirtschaft. Die Produktion von Inhalten kann in einer digitalisierten Welt komplett quersubventioniert werden.

Ein Blog wie qrios erwirtschaftet keinerlei Einkünfte. Dennoch schreibe und veröffentliche ich regelmässig Artikel. In diesem konkreten Fall investiere ich allerdings Zeit, die durch selbständige Arbeit als Berater finanziert wird. Das Blog profitiert und wird getragen von der Sekundärwirtschaft. Der Mehrwert besteht für mich darin, Teil des öffentlichen Diskurses zu sein. Beispielsweise des Diskurses, wie die freie Verfügbarkeit von Produktionsmitteln einen Wirtschaftszweig wie die Medien verändert.

Mit dieser Subventionierung der Produktion von Inhalten stellen die Blogs ohne Frage eine Konkurrenz für die klassische Medienindustrie dar. Digitale Produktionsmittel sind für diese Industrie ein zweischneidiges Schwert: die Produktion und der Vertrieb der eigenen Produkte wird zwar kostengünstiger, gleichzeitig steigt jedoch der Konkurrenzdruck enorm.

Wie sollte die Medienindustrie ihren Besitzstand wahren? Es gibt dafür einen ausgezeichneten Weg: den Zugang zu diesen Produktionsmitteln beschränken.

Um dieses Ziel zu erreichen kann man sich verschiedener Strategien bedienen. Eine der sehr früh angewendeten Verfahren, war die Errichtung von technischen Hürden bei der Erstellung von Inhalten. BTX, Compuserve und AOL boten zwar die Möglichkeit, eigene Inhalte zu publizieren, dazu war allerdings ein hoher Grad an technischer Kenntnis erforderlich. In den meisten Fällen wurden daher Agenturen damit beauftragt. Mit der Verfügbarkeit des ersten Webservers und -browsers auf der Basis von TCP/IP sind technische Hürden obsolet geworden.

Auch eine weitere Hürde wurde schon von der ersten Stunde des Netzes intensiv verwendet: die Disziplinierung der Teilnehmer durch rechtliche Mittel. Newsgruppen wurden schon in den frühen 90er Jahren überwacht und Server regelmässig mit der Begründung der Verbreitung von Pornographie vom Netz genommen. Auch Compuserve sah sich entsprechenden Angriffen ausgesetzt.

Mit dem Erfolg von Napster sah sich die Medienindustrie erstmals mit einer existentiellen Bedrohung ihres bestehenden Geschäftsmodells durch das Netz konfrontiert. Die Reaktion war und ist ebenso einfach wie dumm: drohe den Nutzern mit drakonischen Strafen. Selbst, wenn bisher in Deutschland keine – oder nur sehr wenige – Fälle erfolgreich zu Ende geführt werden konnten, hängt die latente Drohung, dass es sehr, sehr teuer (bis zu einer strafrechtlichen Verurteilung) werden kann für jeden Nutzer einer P2P-Börse in der Luft.

Youtube, flickr und Blogs sind zwar keine P2P-Börsen, basieren aber auf der gleichen Funktionsweise. Sie sind coopetive Dienste. Für jeden einzelnen Teilnehmer ergibt sich der eigentliche Wert erst genau dadurch, dass er Konkurrenten hat. Wenn in einem P2P-Netz eine Datei nur einmal vorliegt, dauert der Download lange, wenn ich der einzige Leecher bin. Wenn ich jedoch in Konkurrenz zu anderen stehe, profitiere ich indirekt davon. Denn beim nächsten Mal haben schon mehrere Andere die Datei ganz oder zu Teilen geladen.

Natürlich werden Inhalte von anderen Nutzern ‘geklaut’. Aber bei all diesen ‘Raubzügen’ werden immer auch Spuren zu der originalen Quelle gelegt. Trotz unlauterer Mittel der Konkurrenz profitiert ein großer Teil der Wettbewerber. Dieser Effekt wird umso signifikanter, je mehr Wettbewerber es gibt.

Davon kann die Medienindustrie allerdings nicht profitieren, wenn sie an ihrem etablierten Geschäftsmodell festhält. Sie muss sogar – trotz billiger Produktionsmittel – zusätzlich in SEO und noch mehr in SEM investieren, damit sie nicht gänzlich abgeschlagen wird. Dies ist ein unhaltbarer Zustand. Und so nimmt es nicht wunder, dass sie alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel nutzt, die Hürden für die Publizierung von Inhalten wieder zu erhöhen.

Einschränkung der Netzneutralität, verschärfte Leistungsschutzrechte, absurde Urhebergesetze, Massenabmahnungen, Internetführerschein, triviale Patente und schliesslich Three-Strikes sind alles ausgezeichnete Mittel, die Anzahl der Publisher zu limitieren und damit das Feld der Konkurrenz zu beschränken. Kein Wunder, dass das umfangreichste Ansinnen nach einem beschränkten Zugang zu den digitalen Produktionsmitteln ausgerechnet von der ACTA kommt. Denn diese hat sich die Deregulierung des Marktes auf die Fahnen geschrieben. Und einen Markt, den man deregulieren will muss man zuerst vor Dumpinganbietern abschotten. Idealismus hat hier ebenso wenig zu suchen, wie der Schutz regionaler Besonderheiten. Die Message ist deutlich: Ohne Rechtsabteilung sollte in Zukunft niemand mehr etwas veröffentlichen.

Und seien wir doch ehrlich, Blogger sind alle – von Stütze lebende – Spinner, die keine Ahnung haben, wie man damit Geld verdienen kann.

Warum sich ausgerechnet die taz zum Sprachrohr dieser Bestrebungen macht, bleibt mir allerdings schleierhaft.


Written by qrios

November 8th, 2009 at 12:26 pm

Posted in netzpolitik,web

One Response to 'die blogs, die produktionsmittel und das kapital'

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  1. Eigentlich war ich bisher der Meinung, dass all diese Massnahmen der Meinungskontrolle dienen. Aber diese Idee finde ich eigentlich viel schlüssiger. Allerdings vergisst Du einen entscheidenden Player in diesem Markt. Die Werbung.

    Die Medienindustrie ist doch in ihren wichtigsten Zügen werbefinanziert. Aber nach meiner Meinung haben weder die Agenturen noch die werbenden Unternehmen ein natives Interesse an einer Beschränkung des Marktes. Denn Werbung wird ja durch mehr Publisher immer billiger.

    Einen interssanten Artikel dazu gibt es bei den Bösen™ http://www.seokratie.de/08984/werbefinanzierte-startups-und-webseiten/

    tracker

    10 Nov 09 at 11:26 pm

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