Die Sicherheit, von der sie reden
Die Bundeskanzlerin und ihr Innenminister bestehen darauf, dass die umfassende Kommunikationsüberwachung nur ein Missverständnis ist. Die Amerikaner hätten eben ein anderes Verständnis davon, wo das richtige Gleichgewicht zwischen Freiheit und Sicherheit liege, als es die Europäer oder die paranoiden Deutschen haben. Man müsse ihnen unsere Empfindlichkeit nur vernünftig erklären. Bei diesem Gleichgewicht, was zu finden sei, geht es um die Abwägung, wie viel Freiheit der einzelne opfern müsse, zugunsten seiner Sicherheit.
Dabei erzeugt dieser Überwachungsapparat das genaue Gegenteil von Sicherheit. Und dies auf mehreren Ebenen.
Für jeden Menschen muss sofort deutlich werden, dass er sein Kommunikationsverhalten ändern wird, wenn er annehmen muss, dass die Inhalte öffentlich sind. Die Logs der letzten Youporn-Session könnten in der eigenen Facebook-Timeline auftauchen. Oder erinnern sie sich an die anzüglichen Chats mit ihrem Cousin? Und die Tatsache, dass sie ihrem Alg-II-Bruder regelmäßig Geld zustecken, sollte auch nicht jeder wissen. All diese Daten liegen irgendwo, sie verschwinden nicht und sie sind nicht sicher.
Mehrere hunderttausend Menschen haben auf einen Teil oder auf alle Daten Zugriff. Mit der Zeit werden es immer mehr. Jeder von diesen Menschen hat persönliche und wirtschaftliche Interessen und die Organisation in der er arbeitet hat selbst solche Interessen. Und man kann nur vermuten, was diese Menschen schon alles mit den Informationen gemacht haben. Der Fall des Jungen-Union-Mitgliedes in Baden-Würtemberg dürfte nicht der einzige Fall sein.
Für den amerikanischen Präsidenten mögen die Daten nichts anderes sein als eine Form der Marktforschung mit anderen Mitteln. Für seine Konkurrenten sind sie unlautere Mittel, die die Basis der Demokratie unterminieren. Sie lassen die Demokratie zu einer Farce werden. Denn seine politischen, wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Gegner verfügen nicht über die gleichen Mittel.
Für einen demokratischen Prozess ist jedoch die Ausgewogenheit der Mittel essentiell. Deswegen verbieten doch Diktaturen die freie Presse und schaffen die unabhängige Gerichtsbarkeit ab. Wenn die wiederstreitenden Kräfte in einer Demokratie aber nicht über die gleichen Informationen verfügen, die ja üblicherweise von der freien Presse erhoben und vermittelt werden sollten, dann gibt es keine Demokratie mehr.
Und dann sind auch unsere Politiker nicht mehr frei. Denn sie müssen immer unsicher sein, was ihre Vertragspartner oder ihre Gegner wissen.