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Mozilla löst kein Probleme, es wird selbst zu einem

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Quelle: http://en.wikipedia.org/wiki/File:Paris_Tuileries_Garden_Facepalm_statue.jpg

Quelle: en.wikipedia.org
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Mozilla schlägt vor, Profiling direkt im Browser einzubauen. Profiling ist die Basis für Targeting und ist ein wesentliches Feature gehobener WebAnalytics-Lösungen. Profiling ist der Kern des Geschäftes von Firmen wie nugg.ad, Wunderloop (ehemals 7d) und früher schon Yoolia. Ziel ist es, aus dem historischen Verlauf vieler/aller aufgerufenen Seiten, die Affinität zu bestimmten Themen oder Themengruppen zu ermitteln. Auf der Basis dieser Daten kann dann Werbung gezielter positioniert werden.

Mit Profiling soll das Ford’sche Dilemma gelöst werden. Henry Ford wird der Ausspruch zugeschrieben, dass er zwar wisse, dass die Hälfte der Marketingkosten zum Fenster rausgeschmissen sei, aber nicht welche Hälfte. Mit Hilfe von Profiling würde man nur noch die ansprechen, die auch tatsächlich potentielle Kunden sind.

In der klassischen Werbung gibt es einen solchen direkten Rückkanal nicht. Die Werbewirksamkeitsforschung muss sich auf krude Verfahren, wie Panelgruppen (GFK, agof) und Massenzählungen (IVW, Radioreichweite) stützen. Diese werden dann mit obskuren Sinus-Gruppen verknüpft und daraufhin wirbt dann “o.b.” bei Tele5 im täglichen Star-Trek-Slot.

Auf dem Mozilla-Blog hat der Product Manager Justin Scott nun ein System vorgeschlagen, dass es zukünftigen Firefox-Versionen ermöglichen würde, selbst ein Profil zu erstellen. Dieses soll dann (offensichtlich) anonym an den Serverbetreiber einer Seite gesendet werden. Damit wäre es dann möglich den Inhalt so aufzubereiten, dass der Nutzer nur die Themen sieht, die ihn tatsächlich interessieren.

Problem I:

Bei großen Sites ist die Anzahl der Nutzer groß genug, dass aus den Themen-Clustern eines Profils dieses wieder deanonymisiert werden kann. Dazu gibt es genügend Studien und das sollte jeder halbwegs informierte Produktmanager auch wissen. Zumal ja neben dem Profil nach wie vor genügend Daten über den Browser (User Agent String) mitgesendet werden.

Problem II:

Die Filter-Bubble, die von vielen als antidemokratisch eingeschätzt wird, verengt sich noch mehr. Statt der Möglichkeit, sich umfassend über die Welt durch verschiedenste Medien informieren zu können, werde ich – ohne es zu wissen – einer heilen Welt gefangen gehalten.

Problem III:

Die Klassifizierung der Themen kann durch einen Inhalteanbieter manipuliert werden. Gesetzt den Fall, ein Forum, deren tägliche Besucher sich über historische Landkarten austauscht, bekommt zu wenige Werbeanzeigen durch die großen Werbenetzwerke. Was liegt näher als sich dann einen Bereich auszusuchen, der häufig gebucht wird. Vielleicht Schuh-Shopping oder Versicherungen. Alle Nutzer des Forums würden dann (wg. der häufigen Besuchsfrequenz) auf anderen Seiten plötzlich nur noch Schuhe oder Versicherungen angeboten bekommen.

Problem IV:

Schon heute werden Daten durch die Sites über den Server weitergegeben. So entstehen Netzwerke, die die Cookies und Fingerprints abgleichen. Würden die Browser zukünftig noch die Profile übertragen, hätten wir es endgültig mit dem gläsernen Surfer zu tun. Und nicht nur die Werbeindustrie hat ein existentielles Interesse daran.

Und tatsächlich löst die Idee des Profiling das Problem der überbordenden Werbung gar nicht. Es wird nicht dazu führen, dass weniger Werbung erscheint und es wird nicht dazu führen, dass Publisher mehr Geld erhalten. Denn dieses Problem erwächst aus der preiswerten Schaffung und Verbreitung von Inhalten im Netz. Mehr Daten an die Werbetreibenden vermitteln diesen jedoch den Eindruck, dass sie die Hälfte der Ausgaben sparen könnten. Dies ist der Grund, warum auch heute noch die Budgets für TV, Zeitung, Aussenwerbung und Radio wesentlich höher sind als die für Onlinewerbung.

Statt sich neue Methoden auszudenken, wie man an noch mehr Daten kommt, sollten sich die Publisher mit den Browserherstellern vor die Nutzer stellen und die Erhebung und Weitergabe der Daten verhindern. Dann würde Online plötzlich ein ganz normaler Kanal im sogenannten Werbemix und dort plötzlich nicht mehr die Conversion zählen sondern wieder die gute alte Währung der Kontakte.

Wasch mich, aber mach mich nicht nass

Aber offensichtlich ist Mozilla inzwischen unterwandert von Marketing-Experten, die auf der einen Seite die Privatsphäre der Nutzer propagieren auf der anderen Seite aber die Werbeindustrie nicht vergraulen wollen. Schon Do-Not-Track – vorgeschlagen von Mozilla – muss man so interpretieren. Denn die gesamte Idee basiert auf Freiwilligkeit der Serverbetreiber und stellt nur einen kalten Abklatsch von P3P dar. Dieses wesentlich bessere System hat Mozilla übrigens 2000 aus dem Browser entfernt.


Written by qrios

July 26th, 2013 at 7:24 pm

Posted in analytics,web

2 Responses to 'Mozilla löst kein Probleme, es wird selbst zu einem'

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  1. Ohje, vom Regen into die Traufe.

    Moellus

    29 Jul 13 at 8:30 am

  2. Obwohl ich doch sehr hoffe, dass man das ausschalten kann, frage ich mich, ob es nicht besser ist, wenn das der Browser macht und die Daten nicht irgendwo zentral bei einer Firma liegen.

    Thomas K.

    30 Jul 13 at 2:39 pm

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