#Krautreporter – Oder: Haltet den Dieb!
Aktuell haben die Krautreporter noch zwei Tage Bangen vor sich. Noch fehlen dem Projekt mehr als 5000 Unterstützer, die mindestens 60€ für eine Jahresmitgliedschaft investieren. Sie fördern damit ein alternatives Marktmodell für journalistische Produkte. Mit knapp 1 Mio € für ein Jahr wäre das Projekt gut ausgestattet. Und 60€ pro Jahr sind für einen anspruchsvollen Medienkonsumenten auch nicht viel.
Aber 60€ sind – zumindest für mich – zu viel für ein Projekt, das auf weitgehend falschen Annahmen basiert. Es wurde von Journalisten initiiert, die nach meiner Meinung schon an ihrem Arbeitsplatz selbst einen beschränkten Horizont ein sehr fokussiertes Blickfeld haben.
Buhmann Onlinemarketing
Zu meinen regelmäßigen Kunden gehören seit vielen Jahren große Online-Publisher. Sie erwarten von mir, dass ich ihnen zeige, wie sie aus den Webanalytics-Daten erfahren können, wie man mehr Klicks erreichen kann. Dabei spreche ich sowohl mit der Redaktion, mit dem Vertrieb als auch mit Technik und Produktmanagement.
In den meisten Fällen erwarten meine Gesprächspartner, dass die Nutzerdaten ihnen besser sagen können, was und wie sie zukünftig schreiben sollen. Die Zahlen sollten es ihnen besser sagen als es ihr Gefühl oder die Chefredaktion kann.
Insbesondere die Redaktionen wirken häufig verunsichert. Ihnen ist die Aufmerksamkeitsökonomie der Nutzer ein Buch mit sieben Siegeln. Sie schauen tagtäglich, oft sogar mehrmals stündlich auf die Artikelperformance bei Chartbeat. Longtail halten sie für ein Mythos aus der guten alten Zeit.
Als gelernter Journalist habe ich noch eine tägliche Redaktionskonferenz für ein monatlich erscheinendes Magazin erlebt. Ja, täglich für eine Monatsausgabe. In diesen Konferenzen kämpften die Redakteure mit/gegen der/die Chefredaktion für ihre Inhalte, für ihre Sicht der Dinge, für ihre Meinung. Es war immer Platz für Nischenthemen. Es war weitgehender Konsens bei den Redakteuren, dass eben diese Nischen es den Lesern erleichterten den Mainstream der Inhalte einzuordnen. Die Chefreaktion hat gemeinsam mit den Redakteuren und den Autoren die Inhalte kuratiert.
Nicht ein mal habe ich es in einer solchen Konferenz erlebt, dass die Chefredaktion etwas über den Anzeigenverkauf hat verlauten lassen. Natürlich musste die Heftplanung die verkauften Anzeigen berücksichtigen. Verkaufszahlen wurden nur genannt, wenn wiedermal ein Rekord gebrochen wurde.
Wenn ein Artikel geschoben wurde war das entscheidende Argument nicht, dass zu wenig Anzeigen verkauft wurden sondern, dass das Thema grade nicht passt oder noch weiter ausgearbeitet werden sollte. Die Chefredaktion fungierte als Firewall gegen die Wünsche der Anzeigenabteilung. Und sie musste sicher viel aushalten. Denn die Anzeigenabteilung in einem Verlag ist mächtig und gefräßig. (Das liegt unter anderem daran, dass sie im Gegensatz zur Redaktion sehr stark Bonus-getrieben ist.)
Bei allen mir bekannten Online-Redaktionen gibt es diese “Chefredaktions-Firewall” nicht mehr, oder nur noch sehr eingeschränkt. Die Redaktionen haben direkten Zugriff auf die Nutzungszahlen. Statt gesteuerter Kuration nutzen die Managementebenen nun den direkten Wettbewerb in der Redaktion als Instrument der Entwicklung des verlegerischen Profils.
Wenn die Krautreporter also implizieren, dass Redaktionen heute nur noch Futter für die Klickviehtröge liefern, haben sie durchaus Recht. Aber es sind eben diese Redaktionen und Chefredaktionen, die diesen Wettlauf überhaupt veranstalten. Es sind die Redakteure, die mit den WebAnlytics-Zahlen in die Redaktionskonferenz gehen und die Heftplanung mit Milchmädchenrechnungen in ihrem Sinne manipulieren.
Die strategische Themenplanung im eigentlichen verlegerischen Sinne ist daher heute ungleich schwerer. Plastisches Beispiel für diese Hypothese ist Spiegel Online: inzwischen verdrängt der Fussball an mehreren Tagen in der Woche weite Teile der Nischenthemen und oft sogar die Kernthemen. Offensichtlich ein Effekt der positiven Rückkopplung. Mehr Fussball bringt mehr Fussballinteressierte. Die Klickzahlen liefern den Sportredakteuren dann die notwendigen Argumente für immer mehr Fussball. Ähnlich dürfte die Entwicklung vor einigen Jahren beim Stern abgelaufen sein. Vor zehn Jahren war Panorama eher selten unter den Top-5-Themen auf der Homepage. Heute sind es mitunter mehrere Panorama-Artikel auf der Bühne gleichzeitig.
Aber Online-Marketing ist nicht gleich Online-Marketing. Es gibt Beispiele in denen eine geschickter Vertrieb signifikant höhere Preise erzielen kann. Große Sportseiten erreichen bei Markenherstellern Preise von denen AdServer-Betreiber und Bookingagenturen nur träumen können. Die Kooperation der Zeit mit dem Uhrenhersteller Nomos Glashütte lohnt sich offensichtlich für beide Partner.
Solche Partnerschaften und Vertriebskonzepte funktionieren allerdings nur, wenn man ein verlegerisches Profil hat. Dann und nur dann hat man auch eine attraktive Leserschaft und Zielgruppe. Dabei kann man sogar für Anzeigenkunden kritische Themen ausbreiten und dennoch gutes Geld verdienen. Ein schönes Beispiel, wie das funktioniert zeigen die Prenzlauer Berg Nachrichten. Während man ein umfangreiches Dossier über Gentrifizierung pflegt, verkauft man gleich noch das Immobilienprojekt. Chefredakteur und Geschäftsführer des Onlinemagazins ist übrigens Philipp Schwörbel, ein Krautreporter.
Publikumsbeschimpfung
Wenn die Krautreporter nun Vorschuss von ihren Lesern haben möchten, dann machen sie den Gärtner zum Bock:
Du,
lieber Leser,
bist mit Deinem nervösen Finger Schuld an unserer Misere. Immer wenn Du auf eine catchy Überschrift klickst, stirbt ein Qualitätsjournalist einen kleinen Tod. Mit jeder Bilderstrecke in die Du Dich fallen lässt, verhinderst Du wieder einen Pulitzer-Preis-trächtigen Artikel.
Andere kritisieren das Projekt aus anderen Gründen. Insbesondere die Kampagne selbst wird als arrogant betrachtet. Die Macher scheinen von der Kritik überrascht worden zu sein. Nachbesserungen sollten wohl den Wind aus den Segeln nehmen. Doch es fällt immer wieder auf, dass die Krautreporter das Modell der werbefinanzierten journalistischen Produkte für einen Verfall der journalistischen Qualität verantwortlich machen. Als ob Werbung eine Erfindung für das Internet wäre.
ps: Ich persönlich bin übrigens der Meinung, dass wir zu wenig Meinungsjournalismus haben und nicht zu viel. Aber das ist noch ein ganz anderes Thema.
pps: Den drohenden Misserfolg der Kampagne als eine Schlappe der Netzgemeinde zu menetekeln halte ich übrigens für vollkommen daneben. Denn das Projekt ist sowas von Old School.
Ich finde ja, dass eigentlich jeder, der einen AdBlocker benutzt das Projekt unterstützen müsste. Immerhin führen die zu weniger Werbeeinnahmen und damit direkt zu geringerem Budget bei den Redaktionen.
Lem
11 Jun 14 at 4:57 pm
egal was man anfasst, egal was man macht, es kommt immer gleich einer um die ecke der das haar in der suppe findet. wenn doch alle kritiker nur mal ein zehntel so viel tun würden, wie sie kritisieren.
anon
11 Jun 14 at 8:26 pm