qrios

IT ist kurios!

Zurück in die Vergangenheit

6 Kommentare

Patentkriege, Netzneutralität, kaputte iPads, Kontrollverlust, Vorratsdatenspeicherung, Netzsperren, Content-Blocking …

Davon lese ich in letzter Zeit und denke “das kommt dir bekannt vor”, “du hast das schon mal gelesen”. Zum Beispiel bei J. G. Ballard und seinen bedrückenden Kurzgeschichten über eine nahe Zukunft. Die Erzählungen in dem Band “Das Katastrophengebiet” sind zum Teil über 50 Jahre alt. “Der unterbewußte Mann” erkennt zum Beispiel als einziger, dass seine gesamte Umwelt vollgestellt ist mit Werbetafeln, die ihre Botschaften direkt ins Unterbewusstsein einspeisen.

An diese Geschichte musste ich denken als ich heute den Artikel “US internet providers hijacking users’ search queries” las (Danke +Kristian Köhntopp). Einige amerikanische Provider haben danach Deals mit Vermarktern und leiten Suchanfragen der Provider-Kunden direkt auf Sites derer Kunden. Man stelle sich vor, die Gasag würde für meine Spülmaschine nur Strom ausliefern, der für Siemens-Geräte ist.

Aber halt! Das gab es doch schonmal. Die ersten Stromnetze hatten ja jeweils ihre eigenen Volts und Frequenzen. Und tatsächlich konnte man damals nicht einfach einen Motor kaufen und davon ausgehen, dass er mit dem gelieferten Strom auch laufen würde.

Und auch die lächerliche Reportage von Akte 2011 über defekte iPads, die die Bild-Online-Seiten nicht darstellen können, fällt unter die Kategorie “bewährte Verfahren der Vergangenheit”. “Broken by Design” war schon immer ein Mittel, zukünftige Märkte aufzubauen. Wenn man es schafft eine kritische Masse zu erreichen ist ein kontinuierlicher Gewinnstrom fast automatisch garantiert.

Aber nur fast. Denn man muss sich ja davor schützen, dass die Konkurrenten die gleiche Technik verwenden aber billiger produzieren oder mit geringerer Marge zufrieden sind. Oder vielleicht gar ein besseres Geschäftsmodell haben. Etwa wie bei Google vs. Microsoft. Dass Google nicht wirklich um den Patentpool von Nortel mitbieten wollte, konnte man ja schon an den abgegebenen Geboten sehen. Das letzte Angebot betrug 3,14. Nachdem sie zuvor verschiedene andere Konstanten abgeliefert haben.

Dabei ist eigentlich die Frage bei Patenten doch die: Warum sollte ein Verfahren schützenswert sein, wenn damit eine kritische Masse erreicht wird? Die kritische Masse, also der Erfolg im Markt sollte doch Belohnung genug sein. Das Verfahren selbst kann doch nur dann einem besonderen Schutz unterliegen, wenn die eindeutige Absicht besteht, sich den Marktmechanismen zu verwehren.

An diesem Punkt hat Google vollkommen Recht, wenn es die gängige Patentpraxis und insbesondere den Erwerb eines Patentpools durch ein Kartell als wettbewerbswidrig bezeichnet. Und John Gruber schiesst sich leider ausnahmsweise ins Abseits, wenn er Google Gejammer über das Verhalten der Konkurrenten unterstellt. (Dass er sich inzwischen auf formale Kritik zurückzieht, zeigt lediglich, dass er sich seines Irrtums bewusst wird.)

Google ist nach meiner Meinung der wichtigste Vertreter der Wirtschaft, der nicht die althergebrachte Art und Weise des Wirtschaftens vertritt. Offenheit ist Firmenpolitik. Wie andere Unternehmen schafft es selbstverständlich auch Google nicht, die eigene Firmenpolitik in allen Bereichen 100%ig umzusetzen. Aber was will man auch von einem 12-jährigen erwarten. Die Firma ist anscheinend auch für den Dialog offen, ob sie irgendwas falsch gemacht hat, wie zum Beispiel bei der Klarnamenrichtlinie von Google Plus. Vertreter des alten Wirtschaftens wie Apple oder Microsoft kann man solche Dialogbereitschaft nicht unterstellen.

Es ist sicher nicht mein Ziel, dass Google größer und größer wird, dass die Anleger sich einen goldenen Arsch mit Google-Aktien verdienen. Aber ich bin für die Beseitigung des Patent(un)wesens und ich bin für Netzneutralität. Und beides sind Ziele für die Google Lobbyarbeit macht. Sowohl in Washington als auch in Brüssel und in Peking. Aber auch auf technischer Ebene durch eigene DNS-Server oder https.

Je größer Google jedoch ist, desto mehr wird das Modell Offenheit Anklang bei anderen Firmen finden. Investoren werden sich vielleicht fragen, warum sie in jahrelange Rechtsstreitigkeiten investieren sollten, wenn man kurzfristiger mit Investments in offene Geschäftsmodelle mehr verdienen kann.

Oder Google kauft sich selbst ein riesiges Patentportfolio z.B. Motorola …

 


Written by qrios

August 6th, 2011 at 1:53 pm

Posted in netzpolitik,web

6 Responses to 'Zurück in die Vergangenheit'

Subscribe to comments with RSS or TrackBack to 'Zurück in die Vergangenheit'.

  1. Dem letzten Absatz kannst Du noch einen viel gewichtigeren Punkt hinzufügen. Anleger und Investoren mögen Rechsunsicherheit überhaupt nicht. Wenn aber das Patentsystem in öffentlicher Kritik steht weil es eigentlich eine Marktbeschränkung darstellt werden auch mehr und mehr Politker über eine Änderung des Systems reden. Und damit wird das Patentgeschäft auf Dauer unsicher.

    Und was Du noch vergessen hast: Softwarepatente sind in der heutigen bzw. amerikanischen Form ein Innovationshemmschuh. Früher oder später sollten die Amerikaner das merken.

    ff

    6 Aug 11 at 7:10 pm

  2. Ich hatte heute den letzten NSFW gehört und Tim ist der Überzeugung, dass sich Google mit der Klarnamengeschichte abgeschossen hat. NSZI (nur so zur info)

    anon

    6 Aug 11 at 7:24 pm

  3. @ff: Stimmt, sie sind Innovations-hemmend. Aber das ist ja auch das Argument des freien Wettbewerbs.

    @anon: Ich halte Tims (und anderer) Argument für überzogen. (Obwohl ich die Klarnamenpflicht ja selbst ablehne.) Der Einfluss der digitalen Bohème auf die breite Masse dürfte geringer sein als zum Beispiel der der Printpresse. Und in dieser findet G+ derzeit extrem viel Aufmerksamkeit.

    qrios

    7 Aug 11 at 11:20 am

  4. John Gruber bezieht jetzt doch mal deutlich Stellung gegen Patente: http://daringfireball.net/linked/2011/08/08/cuban

    qrios

    9 Aug 11 at 8:35 am

  5. Es scheint ja echt Mode zu sein, auf Patenten rumzuhacken. Würde aber gerne mal wissen, warum ich noch irgendwas erfinden sollte, wenn mir das jeder sofort klauen kann. Das System wird ja schon in der Pharmabranche aufgeweicht und es zeichnet sich ab, dass deswegen bei bestimmten Krankheiten schon nicht mehr geforscht wird. Die Genrica kommen einfach zu schnell auf den Markt.

    Nerz

    9 Aug 11 at 10:55 am

  6. [...] auch direkt der Verweis auf den eigentlichen Hintergrund: zukünftige Patentkriege (siehe “Zurück in die Vergangenheit“). We recently explained how companies including Microsoft and Apple are banding together in [...]

Leave a Reply