Do Not Track: Chronik eines angekündigten Todes
Bei ZDNet ist ein schöner Rant über das Verhalten der Ad-Betreiber im Prozess der Standardentwicklung von Do Not Track erschienen. Ed Bott vergleicht darin den Ablauf als phantastischer als Alice im Wunderland. Er fragt sich, ob DNT aktuell eher mit 1984 oder mit Brazil vergleichbar ist. Auf der Mailingliste des W3C fand sich die Schlussfolgerung, dass Marketing eine Säule der US-Gesellschaft ist und jeder, der dort Sand ins Getriebe streut, müsse ja wohl Kommunist sein – folgert Ed Bott.
Aus meiner Sicht, war Do Not Track von Anfang an Schwachsinn. Allerdings war mir vor eineinhalb Jahren noch nicht klar, welchen Spin das ganze noch nehmen würde. Im Kern läuft es inzwischen darauf hinaus, dass die Werbebranche offen zugibt, dass sie mit der Dummheit/Faulheit der User rechnet. Und nur, wenn dieser Faktor auch im Standard festgeschrieben wird, ist sie bereit sich dem Diktum zu beugen.
Die Kernfrage lautet: Muss der Nutzer aktiv sagen, dass er nicht getrackt werden möchte (Opt-Out)? Oder sind prinzipiell auch Systeme standardkonform, die dem Nutzer diese Entscheidung abnehmen und das Tracking-Flag ohne Frage setzen (Opt-In).
An dieser Frage scheiden sich nicht nur die Geister – auf der einen Seite die Ad-Betreiber und von dieser abhängige Firmen und auf der anderen Seite z.B. Microsoft, das den Datenschutz als Verkaufsargument entdeckt hat. Bei dem Versuch einen Kompromiss zu finden, werden auch Institutionen wie das W3C und selbst die Apache-Foundation beschädigt.
Alles in allem gibt es allerdings schon heute Fakten. Wenn ein Nutzer heute bei seinem Explorer, Firefox oder Safari DNT einschaltet müsste ein Site-Betreiber dies mit hoher Wahrscheinlichkeit berücksichtigen. Denn kaum ein großer Anbieter könnte sich heute damit rausreden, dass es noch keinen Standard gibt. Allein die Kenntnis über die mögliche Einstellung und damit der Intention des Nutzers dürfte als Argument vor einem – zumindest US- – Gericht genügen, einen Schadensersatz einzuklagen. Das Muster der Prozesse gegen verschiedene Tabakkonzerne könnte für eine Sammelklage ausreichen.
Aus Sicht der Publisher steht und fällt ihr Geschäft mit dem Ad-Targeting. Das dürfte einer der Gründe sein, warum wenig und wenn sehr einseitig über DNT berichtet wird. Letztes Beispiel für eine sehr eingeschränkte Sichtweise präsentierte Golem am Tag der deutschen Einheit. Der Autor Jens Ihlenfeld ist Gründer und Herausgeber von Golem.de. Für ihn wird DNT nur dann funktionieren, wenn es mittels Opt-Out umgesetzt wird. Falls es üblicherweise eingeschaltet ist, droht er, würde sich die Werbeindustrie nicht daran halten.
Ob der Standard in der aktuell verfahrenen Situation überhaupt noch verabschiedet wird ist sehr fraglich. Viel wahrscheinlicher ist eine Gesetzesinitiative des US-Congresses oder der EU-Kommission. Dann hätte die Werbeindustrie hoch gepokert und alles verloren.
[Update] Kaum geschrieben, schon wird berichtet, dass Neelie Kroes als Europa-Chef-Onlinerin das W3C darauf hinweist, dass es nicht akzeptiert wird, wenn das Standardgremium die Privatsphäre der Nutzer verwässert. Eigentlich hatte die EU dem W3C und den beteiligten Firmen aufgetragen bis Juni einen vernünftigen Entwurf vorzulegen. Auch von der FTC kommt Kritik. Laut dem Chef Jon Leibowitz würde der aktuelle Vorschlag ein Schlupfloch bieten, durch das man einen virtuellen Truck fahren lassen könne. [/Update]