weniger ist mehr
Apple hat mit dem iPhone-UI der selbstgefälligen Mobile-Device-Branche die Harke gezeigt. Nach einem Jahrzehnt des Stillstands und unterirdischer Hard- und Softwarequalität hat Apple einen Markt besetzt, dessen Existenz zuvor keinem Analysten aufgefallen war: zufriedene Handy-Kunden. Die Zahlen über Apples Kundenzufriedenheit sprechen eine deutliche Sprache.
Einen erheblichen Anteil an diesem Erfolg hat das User Interface des iPhone OS. Mit leicht zu erlernenden Gesten können sich fast alle neuen User einen Blick in das Manual sparen. In jeder gut gefüllten Berliner Kneipe gibt es an jedem Abend mindestens eine private Vorführung der Funktionsweise des iPhones. Zusammen mit einer beispiellosen TV-Werbung, die gleichzeitig ein ausgezeichnet gemachtes User-Manual ist können die meisten Neukunden das iPhone schon bedienen, bevor sie es überhaupt jemals in der Hand halten.
Diesen Erfolg verdankt Apple einer immer wieder angewendeten Strategie: Investiere 100% deiner Ressourcen um die Hälfte der User-Erwartungen zu erfüllen. Die andere Hälfte dieser Erwartungen sollten auf jeden Fall ignoriert werden. Denn immer werden diese Nice-To-Have-Funktionen überdurchschnittliche Anstrengungen erfordern aber nur wenigen Usern wichtig sein. Im Zweifelsfall werden diese Nutzer einen Weg finden, die vermissten Features selbst nachzurüsten.
Beispiele für dieses Vorgehen finden sich dutzende: Time Machine funktioniert einfach so, aber verbietet eine Einstellung, der Backup-Frequenz, das iPhone beherrscht zwar Bluetooth, aber ganz normale GPS-Mäuse kann man nicht damit koppeln, der iPod Touch hat zwar den Platz für eine Kamera, aber eingebaut ist sie – noch – nicht.
Aber obwohl Apple durch diese Strategie erhebliche Ressourcen spart und sich mit der Veröffentlichung sogar noch wesentlich mehr Zeit lässt als die Konkurrenten, ist es durchaus nicht so, dass die Qualität der Software aus Cupertino um Dimensionen besser wäre. Man schaue sich nur mal die unterschiedlichen Umsetzungen verschiedener iPhone-Programme an: teilweise fehlende Rotation-Unterstützung, unterschiedliche Anordnung von Standard-Buttons, sich vollfressende SMS-SQLite-db.
Im Gegensatz zu Google, Microsoft oder Nokia verwendet Apple offensichtlich jedoch erhebliche Anstrengungen auf das Polishing der Oberflächen. Dabei kommt ihnen eine Entscheidung zu gute, die bereits vor über 20 Jahren von Next unter Steve Jobs getroffen wurde: die Darstellung der graphischen Oberfläche erfolgt mittels Display PostScript. Apple hat diese Entscheidung auf der Basis von PDF als Quartz weitergeführt.
Es scheint Entwicklern in Cupertino strikt verboten, UI-Elemente zu entwerfen. Dies dürfte – neben den Launen von Steve Jobs – einer der wesentlichen Gründe sein, warum Apple immer signifikant länger für den Markteintritt braucht, als alle anderen. Grundlegende Änderungen am UI erfordern selbst bei optimaler MVC-Programmierung häufig aufwendige Modifikationen des Codes.
Diese Verspätungen sind allerdings kein Problem für Apple sondern immer öfter ein Vorteil. Jahrelang gab es MP3-Player. Nur hatte keiner der Hersteller wie Diamond sich Gedanken um die möglichst einfache Verwaltung der heimischen Musik gemacht. Mehr als fünf Jahre nach dem ersten Gerät kam iTunes raus und noch mal zwei Jahre später erschien der erste iPod. In der Zwischenzeit hat sich zwar ein Markt für MP3-Player gebildet, die Anbieter haben sich jedoch gegenseitig mit Featuritis überboten.
Das Spiel hat sich bei Telefonen noch viel drastischer wiederholt. Entsprechend zurückhaltend waren im Januar 2007 die Analystenmeinungen zum möglichen Erfolg des iPhones. Aus Sicht von Steve Ballmer konnte man daher auch nur über das iPhone lachen.
Für die Konkurrenten ergibt sich nach diesen Ausführungen eigentlich nur eine Erfolg versprechende Strategie: mach es wie Apple! Reduziere die Funktionen und konzentriere dich auf das Wesentliche. Wenn man gleichzeitig auf den visuellen Perfektionismus von Steve Jobs verzichtet wird man sogar früher im Markt sein und Apple nicht mehr das Feld überlassen müssen. Palm geht mit seinem webOS sogar schon in diese Richtung.