Haben Apps eine Zukunft?
Mit Erscheinen des iPad hat eine Diskussion weiter an Fahrt aufgenommen: Wozu Apps? Die meisten Eingeweihten sind sich einig, dass native Applikationen nur eine Übergangslösung sind. Sie überbrücken die Zeit bis alle oder wenigstens die meisten mobilen Geräte über eine vernünftige HTML5-Engine verfügen. Denn dann wird endlich das goldene Zeitalter der One-fits-all-HTML5-Convergence-allways-online-Ära anbrechen. Man merkt meinem Ton vielleicht schon an:
Ich glaube das nicht!
Die Frage ist nämlich nicht “HTML5 oder Apps?” sondern “HTML5 oder native Apps?”. Denn das Konzept der Apps hat mit der verwendeten Technik nur wenig zu tun. Apps sind nicht wegen des Einsatzes von HTML5, Flash oder Objective-C erfolgreich. Apps sind vor allem erfolgreich wegen des Distributionskanals.
Schon aus Usability-Sicht ist diese Tatsache merkwürdig. Beispielsweise kann man den ibis reader mit drei Klicks auf einem Gerät installieren. Ein vergleichbares Programm aus dem Apple App Store oder dem Android Market benötigt – je nach Situation – deutlich mehr Interaktionen des Users.
Betrachtet man Themen wie Privatsphäre und Sicherheit von Bankdaten spricht – zumindest bei kostenlosen Apps – ebenfalls einiges gegen die App-Stores.
Warum also haben sich mobile Apps erst mit App-Stores durchgesetzt?
Schon Urzeiten im letzten Jahrhundert konnte man sich Programme für Windows CE oder Symbian von verschiedenen Quellen laden und installieren. Sites wie tucows listeten eine Unmenge kostenloser Programme. Mit ein wenig Geduld und Forschergeist fand man manchmal ein nützliches Tool, das dann genau für die Betriebssystemversion und den jeweiligen Prozessor verfügbar war. Die Sicherheitswarnung bei Symbian, dass das Zertifikat von einer nicht vertrauenswürdigen Quelle stamme und sowieso abgelaufen sei, konnte man getrost ignorieren. Die gleiche Meldung kam ja sogar bei Programmen von Nokia selbst. Die eigentlichen App-Stores waren damals allerdings die Tauschbörsen. Route66 wurde sicherlich hundert mal mehr getauscht als gekauft. Bei einem Preis von mehreren 100 DM nicht überraschend.
Der wichtigste Grund für den Erfolg von App-Stores und damit auch Apps ist daher offensichtlich, die schlechte Erfahrung der Early Adopter mit anderen Möglichkeiten des App-Vertriebs. Testversionen mit nervigen Hinweisen, Probleme mit Lizenzen, die man mal erworben hatte, Plattform-Hazzl, die Liste der bad experiences ist endlos. Ein App-Store, der einem nur die Programme zeigt, die man auch tatsächlich laufen lassen kann und noch dazu die Abrechnung übernimmt senkt die Hürden für den Anwender erheblich. Heute kaufen und installieren selbst die Laggards Apps.
Ausserdem scheinen die App-Stores das verbreitete Bedürfnis des Jagen und Sammelns zu befriedigen. In meinem Umkreis tummeln sich immer mehrere twitter-, Wetter-, RSS- und Fahrplan-Apps auf den iPhones. Jeder scheint auf der Suche nach der noch besseren App für einen noch spezielleren Anwendungsfall zu sein. Statistiken über die Nutzungshäufigkeit sprechen eine eindeutige Sprache: die meisten Apps werden selten aufgerufen und sind schnell dem Vergessen anheim gegeben.
Warum jedoch gibt es keinen HTML-Appstore?
Viele Apps – zumindest im App Store von Apple – sind reine HTML-Programme eingepackt in eine Applikationshülle. Oft wird dafür PhoneGap eingesetzt. Wir selbst haben bereits mehrere solche Projekte umgesetzt (u.a. me.style vom musikexpress). Unabhängig davon, ob es sich um eine Medien- oder eher um eine UI-lastige App handelt entscheiden wir uns eigentlich immer für HTML als technische Basis. Der Hauptgrund ist schlicht Opportunismus: wir wollen neben der iOS- immer auch die Android-Version verkaufen. Nein, Scherz beiseite! Ich bin überzeugt, dass in Zukunft auf allen Plattformen HTML (oder eine geeignete Nachfolgerin) das geeignete Mittel für die Umsetzung von User Interfaces ist.
Für die Zukunft ergibt sich daher ein sehr merkwürdiges Bild: die meisten Apps werden in Objective-C (iOS, Mac OSX), Java (Android) oder C++ (Symbian, RIM) gepacktes, identisches HTML sein. Sowohl für die Kunden der Entwickler als auch für die Nutzer der Programme bleibt dieser Fakt allerdings verborgen. Ebenfalls verborgen bleiben allen auch die Mehrkosten die dadurch entstehen.
Eine sinnvolle Lösung könnte ein App-Store für HTML-Programme und Widgets sein, betrieben von einem großen Marktplayer wie z.B. Amazon. Ob und wann es jedoch soweit sein wird, darüber kann man momentan nur spekulieren.
Warum sollten Apps denn auch verschwinden? Viele Sachen wie Games, Location, Video und Audio lassen sich doch nur mit nativen Apps machen. Wie soll ich denn offline an Texten und ähnlichem arbeiten, wenn der Browser gar keinen Zugriff auf den lokalen Speicher hat?
Vermutlich suchen die ganzen Java-Programmierer nur endlich mal einen gewinnbringenden Markt und reden allen Leuten ein, sie bräuchten HTML-Apps. Allein der Name schon. Bezahlt irgendein Kunde dafür auch nur einen halbwegs vernünftigen Preis?
macs
21 Oct 10 at 7:39 pm
Nach meiner Meinung entmündigen App die User. Alle Informationen sind und kommen nur noch aus einer Sandbox. Statt den freien assoziativen Fluss zwischen verschiedenen Quellen zuzulassen wird der User in einen eingezäunten Garten gezwungen. Eigentlich ist es vergleichbar mit abgepacktem Fertigessen im Supermarkt. Statt über den Markt von einem Stand zum nächsten zu gehen, werden die Gerichte fertig ins Haus geliefert. Die Vielfalt stellt nur anscheinend ein hohes Mass an Freiheit dar. Einzig kleine Eingabefelder wie dieses hier gestatten mir noch, mit dem iPad kreativ zu sein – wie ich es grade tue.
grid
22 Oct 10 at 10:30 am
Natürlich gehen Games, Location, Video und Audio auch mit HTML. Und es handelt sich natürlich auch nicht um Java-Programmierer sondern um JavaScript. Es geht letztlich darum, dass sich der Markt der mobilen Geräte immer stärker fragmentiert und keiner daran interessiert sein kann, dass jede Applikation fünf mal programmiert werden muss. Daran können weder die Hersteller, die Entwickler und schon gar nicht die Kunden interessiert sein.
qrios
26 Oct 10 at 9:38 am
Die Apps sind nur eine kurze Erscheinung. Derzeit gibt es einfach keine Seiten, die auf die besonderen Interaktionsmöglichkeiten des iPad oder anderer Tabletts ausgerichtet sind. Wenn es aber die ersten WordPress-Templates gibt und die ersten Autohersteller sich solche Mühe mit den iPad-Versionen ihrer Seiten geben, wie sie es momentan mit den Flash-Versionen tun, dann werden die Leute nicht mehr den Umweg über den Store gehen um an interessante interaktive Inhalte zu kommen.
Früher oder später werden grade die großen News-Portale spezifische Versionen bauen. Ganz einfach, weil sie die Werbung auf solchen Geräte viel teuer verkaufen können.
betamann
28 Oct 10 at 12:15 pm
Netter Artikel! Ich wünsche allen schöne Weihnachtstageund einen guten Rutsch in Jahr 2011! Mach weiter so! Alles Gute!!
stark schwitzen
31 Dec 10 at 6:03 am