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Do Not Track: Google in der Klemme [Update]

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… I don’t know what a Do Not Track header is. …

Googles Chefanwalt für Datenschutz Keith Enright weiss nicht, was der Do-Not-Track-Header ist oder besser was er tun soll beziehungsweise, was Anbieter machen sollen, wenn ein Browser mit dieser Einstellung vorbeischaut.

Tatsächlich fügt Enright mit dieser Aussage meinem Hauptkritikpunkt an dieser Technik einen weiteren wichtigen Punkt hinzu: die User Experience. Was erwartet ein User, wenn er dieses Feature des Browsers einschaltet? Auch Anne Toth, Privacy-Chefin bei Yahoo, gibt zu, dass sie nicht wissen, was der Nutzer meint, wenn er diese Option einschaltet. Damit machen sie nun eine weitere Front gegen die Technik auf, nachdem sie es bisher – Seite an Seite mit facebook – damit probiert haben, den großen Jobabbau als Menetekel an die Wand zu malen oder gar mit sinkender Sicherheit zu drohen.

Für Google ist die Situation jedoch besonders kompliziert, da die Firma sowohl einen Browser anbietet – und diesen mit Funktionen für die Bearbeitung von Flash-Cookies als ‘Privacy-Browser’ etablieren möchte – als auch ein Schwergewicht im Online-Ad-Markt ist. Mit Produkten wie Doubleclick, AdSense und AdWords verdient Google den größten Teil seines Geldes. Hinzu kommt Google Analytics als Crowd-Sourcing-Tool für die Verbesserung aller Google-Dienste.

Das Ende von Visits und Unique Visitors

Würde man annehmen, dass der User von der Do-Not-Track-Funktion erwarten könnte, dass kein Anbieter zwischen zwei Seitenaufrufen einen Bezug herstellen könnte, hätte man die maximale Nutzererwartung – recht abstrakt – beschrieben. Die einfachste technische Umsetzung dafür wäre ein transparenter Proxy, der bei allen Aufrufen mit dem Do-Not-Track-Header die Requests anonymisiert und erst dann an den Web-Server weiterzuleiten.

Damit würden aber die beiden wichtigsten Währungen der Online-Werbewirtschaft Visits und Unique Visitors obsolete werden. Die meisten Display-Ads werden aber danach abgerechnet. Diese beiden Kennziffern sind am ehesten mit den klassischen Messwerten Kontakt und Reichweite vergleichbar und werden im Marketingmix diesen beiden oft gleichgesetzt.

In Zukunft müsste die Kalkulation für den Preis einer Online-Kampagne wieder ausschliesslich auf der Basis einer zentralen Messinstanz (IVW, agof) stattfinden. Allerdings könnten auch sie nicht mehr mit dem IVW-Pixel arbeiten, weil auch dieser natürlich den User nicht wiedererkennen dürfte.

[Update] InfOnline bietet ab 1. Juli 2011 eine Opt-Out-Möglichkeit für IVW und agof an. Und sie befürchten natürlich zu recht, dass ihre Daten dann ungenauer werden. Allerdings äussern sie sich noch nicht zu Do Not Track sondern setzen es offensichtlich wie Adobe um: der Nutzer muss auf eine spezielle Site und sich einen Cookie setzen lassen, der ihn dann immer aus der Auswertung ausblendet. Ein Verfahren, dass vor keinem Datenschutzaudit bestand haben dürfte, da der User das setzen eines Cookies erlauben muss, um keine Spuren im Netz zu hinterlasssen. [/Update]

In Zukunft kommt nur noch ein Panel wie Alexa in Frage. Panels mit einer begrenzten Anzahl teilnehmender Nutzer benachteiligen jedoch kleine Nischenanbieter signifikant. Selbst ein Zusammenschluss von kleinen Websites zu einem Netzwerk schafft hier keine Abhilfe.

Der Preis für Online-Marketing würde in Zukunft auf der Basis anderer Kennziffern berechnet werden. Das wäre noch kein wirkliches Problem für die Online-Wirtschaft. Denn der Preis ist ja nicht fix an irgendwelchen Zahlen gebunden sondern wird durch Angebot und Nachfrage bestimmt.

Ein echtes Problem ergibt sich jedoch für die Schaltungsmechanik von Anzeigen. Denn der Kunde bucht eine bestimmte Anzahl von eindeutigen Kontakten zu einem bestimmten Preis. Wenn aber nicht zwischen verschiedenen Usern differenziert werden kann, ist für den AdServer-Betreiber und seinen Kunden nicht klar, wie die gebuchten Plätze bestückt werden müssen, damit die Anzahl der Kontakte zustande kommt.

Wirkliches Geld wird heute und mehr noch in der Zukunft aber mit Targeting und Retargeting verdient. Dabei werden die Display-Ads nicht mehr mit der Gießkanne auf ein möglichst großes Spektrum der User verteilt. Statt dessen wird auf der Basis der bisherigen Surfhistorie und oft noch angereichert mit weiteren Daten ein Profil erstellt. Auf dieses Profil angepasste Werbung hat in den meisten Fällen eine wesentlich höhere Klickrate und führt zu höheren Abschlussraten.

Eine voll ausgebaute Engine für die Profilierung kann an Hand der Historie und weiterer Daten, wie IP-Adresse und Browser-Funktionen ein sicheres demographisches Profil erstellen. Altersgruppe, Geschlecht, Vorlieben und politische Einstellung bilden dann eine hervorragende Basis für zielgerichtete Werbung.

Mit der Einführung von Do Not Track dürften diese Profile nicht mehr verwendet werden. Allerdings nur bei den Usern nicht, die diese Funktion einschalten. Die große Frage ist also wie viele Nutzer zu den Einstellungen greifen und das entsprechende Häkchen (Firefox 4 > Einstellungen > Erweitert > Allgemein > Websites mitteilen … ) setzen. Besonders wegen der Beharrungszeit der Nutzer bei alten Browsern wird es wohl eine gewisse Zeit dauern, bis die Gruppe wirklich eine signifikante Größe erreicht hat.

Da jedoch die Nutzer, die diese Funktion eingeschaltet haben, nicht wiedererkannt werden dürfen, können die Anbieter keine Aussage darüber machen, wie viele ihrer Nutzer diese Funktion tatsächlich eingeschaltet haben. Man könnte lediglich von der Anzahl der Seitenaufrufe ausgehen und interpolieren. Zu der momentanen Unsicherheit über die Frage, ob der aktuelle User tatsächlich ein vollkommen neuer Besucher ist oder einfach vor 20 Minuten seine Cookies gelöscht hat, kommt nun eine weitere Unbekannte.

Googles Alptraum

Für Google würde die maximale Umsetzung des Do-Not-Track-Features einen echten Einschnitt bedeuten. Das gesamte Business beruht darauf, möglichst qualifizierte Daten über möglichst viele Nutzer zu erhalten. Das Suchmaschinen-Business würde als wichtiger Hebel (Aggregator für diese Daten) in der Wertschöpfungskette teilweise wegfallen. Es wäre nur noch Yet Another Publisher. Zwar mit einer sehr großen Reichweite aber auch mit exorbitanten Kosten die früher oder später auf den Prüfstand gestellt werden.

Wenn Googles Anwalt für Datenschutz nun meint, dass er nicht wüsste, was die Nutzer von Do-Not-Track erwarten, dann gibt er die Richtung für die Nebelkanonen vor. Plattformen für diese Verunsicherungsargumentation werden Google und Yahoo sicher viele finden, denn für die meisten Publisher ist diese Entwicklung ähnlich bedrohlich. Sie verdienen in den Werbenetzwerken inzwischen gerade durch Targeting und Retargeting endlich Geld im Netz.

 

 


Written by qrios

May 21st, 2011 at 1:43 pm

Posted in analytics,web

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