qrios

IT ist kurios!

Neoliberale Post-Privacy-Argumentation

5 Kommentare

Ein Ruck geht durch Deutschland. Transparenz macht sich breit unter den Bloggern. Allerorten erscheinen Posts in denen eine Liste von externen Domains stehen. Diese sind durch Video, Werbung, Mashup oder Tracking in die Sites eingebunden und erhalten somit Kenntnis vom User und dessen Interaktion auf dem Blog. Nach wie vor für viele Nutzer eine wenig bis gar nicht bekannte Tatsache.

Insofern eine löbliche Offenbarung und gute Maßnahme zur Förderung des Medienverständnisses. Wenn es denn so gemeint wäre. Aber es geht den Autoren um etwas anderes:

Die Übermittlung der Daten an fremde Server ist kein Bug sondern ein Feature!

Die Argumentation läuft unisono folgendermaßen: Das Wesen des Webs ist die Verknüpfung von verschiedenen Services. Dazu werden in einer Seite die Angebote unterschiedlichster Anbieter eingebunden. Die dabei fließenden Informationen über die Interaktionen des Nutzers sind manchmal ein lässlicher Nebeneffekt und ansonsten ein wertschöffender Mechanismus.

Soweit kann ich der Argumentation ohne Einschränkungen folgen.

Der nächste Schritt jedoch führt im letzten Schritt zu einer neoliberalen Argumentation. Wirres.net schreibt:

die überschreitung der strengen deutschen datenschutzrichtlinien ist das wesensmerkmal des netzes

Oder deutlicher: Der Markt hat seine Regeln und ihr (Datenschützer) lasst bitte die Finger davon. (Die Frage, ob Amazon oder facebook, Google die größeren Datenkraken sind ist dabei übrigens vollkommen belanglos.)

Ich spare mir alle Vergleiche à la Dopingkontrollen, Verkehrsregeln oder Strafgesetz. Fakt ist, dass es momentan keinen funktionierenden Mechanismus für den User gibt, zu erfahren, welche Informationen über seine Interaktionen wohin fliessen und diesen Fluss zu kontrollieren.

Die Forderungen der Datenschützer aus Schleswig-Holstein mögen vielen als utopisch erscheinen und wirken auf viele, einem vollkommenen Unverständnis des Web entsprungen zu sein. Für mich sind sie aber der derzeit einzig wirksame Hebel, die Anbieter zu einem Umdenken zu bewegen. Diese werden in Zukunft ihre IT-Systeme so gestalten müssen, dass User einen echten Mehrwert dafür erhalten, dass sie ihre Interaktionsdaten freiwillig zur Verfügung stellen.

Derzeit sind die Nutzer Marktteilnehmer in einem Markt, den sie nicht kennen. Sie bezahlen mit einer Währung ohne die Ware zu kennen, die sie verkaufen und deren Wert sie sich nicht bewusst sind. (Näheres dazu in meinem Vortrag “Datenvieh oder Daten-Fee” auf dem 28C3 zwischen Weihnachten und Silvester in Berlin.)

Auch die Debatte um die aktuelle Gesetzeslage, die im Prinzip jeden Datenverkehr als per se verboten und nur im Ausnahmefall erlaubt betrachtet, bedient die gleiche Argumentation. Der Austausch von Daten sollte laut Prof. Jochen Schneider zuerst einmal immer erlaubt sein. Das bestehende Gesetz ist demgegenüber erstaunlicherweise nahezu deckungsgleich mit einem der wichtigsten Grundsätze des CCC: der Datenvermeidung. Da der vollkommene Verzicht jedoch tatsächlich unsinnig ist, da dann ein wesentlicher Teil der digitalen Wirtschaft eingestellt werden müsste, kommt nach meiner Meinung nur ein Copy-Bit in Frage.


Written by qrios

October 26th, 2011 at 11:58 am

5 Responses to 'Neoliberale Post-Privacy-Argumentation'

Subscribe to comments with RSS or TrackBack to 'Neoliberale Post-Privacy-Argumentation'.

  1. Die neuen “Neoliberalen” der Post-Privacy-Bewegung scheinen sich inzwischen nicht mehr anders wehren zu wissen als zur Gewalt aufzurufen. Unter http://www.ctrl-verlust.net/post-privacy-buch-post-privacy-buch-fesselt-die-datenschutzer/ ruft ihr Oberhirte mspr0 dazu auf, die Datenschützer zu fesseln.

    Was ich nicht verstehe, fast die gesamte Gesellschaft ist sich einig darin, dass die privaten Daten schützenswert sind, dass die Nutzer die Kontrolle darüber haben wollen und auch sollen. Aber einige wenige postulieren ihre sehr persönliche Sicht und machen daraus gleich eine Weltanschauung.

    ff

    27 Oct 11 at 2:32 pm

  2. @ff: Evgeny Morozov hat in der FAZ letztens auch einen wunderschönen Verriss von Jeff Jarvis letztem Buch “Public Parts” veröffentlicht. (Dass er dabei Jarvis persönlich angreift dient dem Diskurs nicht sonderlich ist aber lustig.) http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/netzdiskurs-das-elend-der-internetintellektuellen-11504372.html

    qrios

    27 Oct 11 at 3:05 pm

  3. @qrios: Sehr schön. Und auch Jürgen Kuri auf G+: https://plus.google.com/108439267335906541102/posts/EQFaNG8iE1U

    ff

    27 Oct 11 at 3:13 pm

  4. [quote]Fakt ist, dass es momentan keinen funktionierenden Mechanismus für den User gibt, zu erfahren, welche Informationen über seine Interaktionen wohin fliessen und diesen Fluss zu kontrollieren.[/quote] Da hilft doch der vom CCC vorgeschlagene Datenbrief http://ccc.de/de/datenbrief – müsste nur in ein ungeschriebenes oder geschriebenes Gesetz gepackt werden…

    Chris

    30 Dec 11 at 4:42 pm

  5. [...] Darüber hinaus kommt an mehreren Stellen im Artikel eine sehr regulierungsfeindliche Einstellung zum Vorschein. So wird die Arbeit des Kartellamtes als Eingriff in die Mechanik des Marktes bezeichnet, der “schwer zu vertreten” sei. An dieser Stelle reiht sich Noller in die Reihe der Porstprivacy-Vertreter ein, die gerne auch mal neoliberal argumentieren. [...]

Leave a Reply